Vor über 27 Jahren erzielte Thomas Helmer das berühmte Phantomtor. In dieser Saison wurden die Bayern Meister, Nürnberg stieg ab.
Jörg Jablonski, der neben der Eckfahne stand und sich leicht nach rechts lehnte, um durch das Gewühl im Strafraum zu schauen, sah, was er zu sehen glaubte, und flackerte auf. Er riss seine Fahne kurz nach oben, bevor er sie wieder herunterzog und sich instinktiv zur Mittellinie drehte. Schiedsrichter Hans-Joachim Osmers, der das unmissverständliche Signal seines Kollegen sah, pfiff und zeigte bestätigend in Richtung Mittelkreis: Tor!
Bevor der Schiedsrichter sich auf den Weg in die Mitte machen konnte, um das Spiel fortzusetzen, wurde er jedoch von gelben Trikots umschwärmt, die ihn wie Bienen in einem Bienenstock umkreisten. Die Fahne des Linienrichters und der ausgestreckte Arm des Schiedsrichters machten die Auswärtsmannschaft wütend, obwohl die verzweifelten Bitten der Spieler von weit mehr als nur Wut getragen waren. Alle waren verwirrt, verwirrt und vor allem betrogen, überwältigt von einem Gefühl der Ungerechtigkeit. Der Ball sei nicht im Tor gewesen, beteuerten sie. Und sie hatten Recht. Er war nicht drin.
Die von einem Bayern-München-Kopfball am kurzen Pfosten abgefälschte Ecke der Bayern war an den hinteren Pfosten gelangt, wo Thomas Helmer stand und sich hinter seinen Gegenspieler geschlichen hatte, um ein Tor zu erzielen. Die Versuche des Nürnbergers Lubos Kubik waren gescheitert, Helmer am freien Schuss zu hindern, aber auch Helmers Schuss war gescheitert und fand nur die pure Luft. Durch eine schnelle Kombination aus ungeschickten Flanken und missglückten Vorstößen der beiden Kontrahenten wurde der Ball in Richtung Tor befördert, aber nicht ins Tor befördert, obwohl sich beide bereits im Sechzehnmeterraum befanden. Der Ball fiel dann auf den Rasen, kaum einen Meter von der Torlinie entfernt.
Kubik, der ohnmächtig auf dem Boden lag, sah mit verdrehten Augen zu und erwartete, dass Helmer jeden Moment abschließen würde. Doch der Verteidiger von Bayern München hatte den Ball im entscheidenden Moment aus den Augen verloren, und als er merkte, dass der Ball hinter ihm lag, versuchte er, sein linkes Bein nach hinten zu stemmen und den Ball zu umkurven, um ihn mit einem Schlenzer ins leere Tor zu befördern, doch es gelang ihm nur, ihn aus dem Spiel zu schlagen. Da er seine Chance nicht nutzen konnte, hielt er sich am Torpfosten neben sich fest und starrte verzweifelt auf das Gras unter seinen Füßen und seufzte.
Als er sich abwandte, offensichtlich begierig darauf, das Spiel fortzusetzen und seinen peinlichen Fehlschuss zu vergessen oder, besser noch, seinen Fehler so schnell wie möglich wiedergutzumachen, erhielt Helmer sogar einen wohlwollenden Klaps auf den Hinterkopf von Andreas Köpke, dem Nürnberger Torwart, dem er gerade auf die Beine geholfen hatte. Doch das Spiel wurde nicht fortgesetzt, nicht sofort. In diesem Moment schoss die Fahne des Linienrichters in die Höhe, der Pfiff des Schiedsrichters ertönte, und das Tor wurde Bayern München zugesprochen.
Die Nürnberger Spieler stürmten auf den Schiedsrichter und den Linienrichter zu, brüllten, hetzten und wollten genau wissen, wie ein Tor für einen Schuss, der so deutlich am Pfosten vorbeigegangen war, zustande kommen konnte. Da der Ball nicht im Netz lag, war das so genannte Tor sinnlos. Nur der Linienrichter, der von seinem etwa 30 Meter entfernten Aussichtspunkt aus durch das Netz des Tores spähte, glaubte, dass es ein Tor war, und der Schiedsrichter glaubte ihm. Ungeachtet der Unrechtmäßigkeit war die Entscheidung des Schiedsrichters nicht zu revidieren und das Tor wurde anerkannt. Mehr noch, es entschied das Spiel und bescherte Bayern München einen 2:1-Sieg gegen Nürnberg.
Bayern muss Saison ohne Neuer beenden
Das Revierderby: Schalke gegen Dortmund
Die größten Bundesliga-Siege
Nach zahlreichen Protesten und einer raschen Untersuchung des Spielgeschehens wurde beschlossen, das Spiel zu wiederholen. Die Bundesliga konnte nicht zulassen, dass ein so ungerechtfertigtes Tor über das Schicksal eines Spiels entscheidet, vor allem nicht in Anbetracht der Auswirkungen, die es sowohl auf die Spitze als auch auf das Ende der Liga haben könnte und sicherlich haben würde. Als es zehn Tage später, am 3. Mai 1994, zur Wiederholung des Spiels kam, war Bayern München immer noch Tabellenführer der Bundesliga, mit einem Punkt Vorsprung auf den nächsten Verfolger, den 1. FC Kaiserslautern. Nürnberg hingegen lag auf dem 15. Platz und blickte nervös auf die drei direkten Abstiegsplätze. Es blieben nur noch zwei Ligaspiele, einschließlich des Wiederholungsspiels.
Am Tag des Wiederholungsspiels standen sich beide Mannschaften zur Halbzeit mit einem torlosen Unentschieden gegenüber. Zweifellos hofften viele Nürnberger darauf, die Bayern mit dem Punkt zu verlassen, der ihnen beim letzten Mal so grausam geraubt worden war, und einige träumten sicher sogar davon, alle drei Punkte zu holen. Doch die Bayern waren nicht in der Stimmung, diese Träume zu hegen. Mit einer gnadenlosen Effizienz in der zweiten Halbzeit fegten die Bayern die Gäste mit 5:0 vom Platz.
Am Tag des dramatischen Saisonhöhepunkts reiste Kaiserslautern in den Norden nach Hamburg und tat genau das, was man von ihnen verlangte. Sie besiegten den Dino mit 3:1 Toren. Zum Leidwesen der Lauterer hat auch Bayern München seine Pflicht erfüllt und mit einem 2:0-Heimsieg gegen Schalke dafür gesorgt, dass der Meistertitel nicht mehr in den Händen von Werder Bremen liegt, sondern in den eigenen. Am anderen Ende der Tabelle musste Nürnberg eine deutliche 1:4-Niederlage gegen Borussia Dortmund hinnehmen. Zum Leidwesen der Nürnberger, die in Duisburg gegen den Mitabstiegskandidaten Freiburg mit 2:0 gewannen und damit dafür sorgten, dass nicht sie, sondern Nürnberg durch die Falltür der Bundesliga in die zweite Liga fiel. In den stillen Winkeln von Nürnberg und Kaiserslautern drehten sich die Gedanken verständlicherweise um das Phantomtor von Thomas Helmer, und die Fußballfans, die in ihrer Trauer miteinander verbunden sind, grübelten über das, was wäre, wenn. Was wäre, wenn Jörg Jablonski seine Fahne nie gehoben hätte? Was wäre, wenn Hans-Joachim Osmer das Tor nicht gegeben hätte? Was wäre, wenn es kein Wiederholungsspiel gegeben hätte, oder wenn Bayern nicht gewonnen hätte? Nun, der 1. FC Kaiserslautern wäre 1993/94 Meister der Bundesliga geworden und der 1. FC Nürnberg wäre mit einem einzigen Punkt Vorsprung dem Abstieg in die zweite Liga entgangen, ganz einfach. Natürlich würden die Bayern München nicht zu Unrecht behaupten, dass sie bei gleichem Spielstand anders gespielt, härter gekämpft und trotzdem einen Weg zum Sieg gefunden hätten. Und sie mögen Recht haben. Immerhin stand es 0:0, als Helmer in der 24. Minute ein umstrittenes Tor zugesprochen wurde. Nürnberg verschoss in diesem Spiel sogar einen Elfmeter. Der ehemalige Münchner Manfred Schwabl scheiterte aus zwölf Metern am Torwart. Wie wir alle wissen, hätte alles passieren können. Es könnte jederzeit alles passieren. Stattdessen müssen wir uns mit dem begnügen, was passiert ist, wie immer. Aber da es sich um ein Phantomtor handelte, bleibt die Realität wohl die seltsamste aller Eventualitäten.
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